Ich habe mir gedacht, ich tippe mir mal ein wenig Frust von der Seele und schildere rückblickend, wie die letzten Monate so gelaufen sind.
Mitte / Ende Februar 2020
Das Thema „Coronavirus“ wird auch bei uns relevanter, nachdem es zuvor fast ausschließlich im asiatischen Raum aufgetreten ist. Wenn ich mich recht erinnere, treten auch schon die ersten Fälle in Deutschland auf. Ende Februar sind dann Faschingsferien, in denen viele Bayern in die Berge zum Skifahren reisen. Insbesondere fahren viele nach Tirol in Österreich und nach Südtirol, wo dann plötzlich sehr vermehrt Fälle auftreten. Diese Gebiete werden daher – eins nach dem anderen – zu Risikogebieten erklärt. Alle Schülerinnen und Schüler, die dort im Urlaub waren, müssen nach den Ferien zunächst zuhause bleiben und dürfen nicht in die Schule kommen. Witzig: Da Südtirol erst eine Woche nach Schulbeginn zum Risikogebiet erklärt wird, sind die Betreffenden schon eine Woche in der Schule herumgelaufen und müssen dann nochmal ein paar Tage daheim bleiben.
März 2020
Nun geht es rund: Eine Woche nach Schulbeginn steht für einige Kolleginnen und Kollegen eine Sprachenfahrt mit ca. 65 AchtklässlerInnen nach England an. Wir fragen uns die ganze Woche über, ob die Reise überhaupt stattfinden kann und was passiert, sollte ein Schüler Covid-19 bekommen bzw. entsprechende Symptome entwickeln. Die Schulleitung weiß anscheinend auch nichts Konkretes, aber da Großbritannien kein Risikogebiet ist, würde ein Absagen der Reise „auf unsere Kappe“ (bzw. auf die der Schule) gehen und die Eltern blieben auf den Kosten (immerhin gute 500,- Euro pro Kind) sitzen. Daher heißt es: Die Fahrt findet statt.
Einige SchülerInnen dürfen allerdings nicht mitfahren, da sie in den Ferien in o.g. Risikogebieten waren und sich am Tag des Beginns der Reise noch in „Isolation“ (eine offizielle Quarantäne ist es nicht) befinden. Auch alle Schüler, die nicht vollständig gesund sind (weil sie z.B. eine leichte Erkältung oder Halsschmerzen haben), dürfen nicht mit. Dies führt bei wenigen, einzelnen Eltern zu Unmut und Protesten, die wir aber dankenswerterweise an den Chef weiterdelegieren können. So startet unsere Fahrt unter ungewissen Vorzeichen. Allen wird eingeschärft, sich immer gründlich die Hände zu waschen und fast jeder hat irgendein Fläschchen mit Handdesinfektion dabei (von Aerosolen hat zu dem Zeitpunkt noch niemand etwas gehört). Nach 20 Stunden Busfahrt und einer etwas unruhigen, nächtlichen Überfahrt mit der Fähre kommen wir wohlbehalten in England an und das Thema ‚Corona‘ tritt die nächsten 6 Tage erst mal in den Hintergrund. Stattdessen haben wir eine gute Zeit und eine äußerst nette und zuverlässige Gruppe von Schülerinnen und Schülern.
Am letzten Tag in England, dem Freitag, holt uns das Coronavirus dann gedanklich wieder voll ein: Unser Busfahrer teilt uns morgens mit, dass er aus Gesprächen mit seinem Chef und Kollegen erfahren hat, dass Tschechien am nächsten Tag die Grenzen schließen und in Norwegen der Fährverkehr eingestellt wird. Das hat beides noch nichts mit unserer Heimfahrt zu tun, führt bei uns aber dennoch zu Sorgen darüber, ob dasselbe vielleicht auch zwischen England und Frankreich bzw. in Belgien passieren könnte. Dann würden wir irgendwo auf der Heimreise festsitzen. Unser Busfahren versichert uns zwar, dass er uns, sofern wir über den Channel kommen, zur Not über Landstraßen und Schleichwege heimbringen würde – nur seine Lenkzeiten müsse er einhalten. Mit einem etwas mulmigen Gefühl starten wir in den Tag und vereinbaren, den Schülern zunächst nichts zu sagen (es gibt ja auch nichts wirklich Berichtenswertes), um keine Panik zu verursachen. Per Live-Ticker auf dem Handy verfolgen wir dann vormittags in einem Café in Bournemouth die Pressekonferenz von Ministerpräsident Söder in München, auf der verkündet wird, dass ab Montag die Schulen schließen werden. Ungläubig nehmen wir Kontakt mit den Kolleginnen und Kollegen ‚daheim‘ auf, welche in der Schule teilweise im Unterricht die PK geschaut haben oder in den Pausen vom Chef informiert worden sind. Im Laufe des Nachmittags läuft der E-Mail-Verteiler der Schule heiß, um Kontaktmöglichkeiten und die Versorgung der Schüler mit Arbeitsmaterial zu organisieren. Teilweise richten Kolleginnen noch aus dem Bus per Handy-Hotspot Kurse in der Online-Plattform mebis für ihre Klassen ein – ein weiser Entschluss, denn ab dem Abend und für die nächsten Tage ist die Seite total überlastet und praktisch nicht mehr zu verwenden. Die Rückfahrt durch die Nacht verläuft dann völlig reibungslos und wir kommen den Umständen entsprechend gut daheim an. Die Kinder werden von ihren Eltern (gefühlt) mit großer Erleichterung entgegengenommen und wir Lehrer bekommen noch viel freundlichen Dank mit auf den Weg, bevor wir uns für unbestimmte Zeit von unseren Schülerinnen und Schülern verabschieden.
Daheim ist erst mal die Kleine krank (wilder Husten, Fieber, Schnupfen ?), aber die Kinderärztin entscheidet auf ’normaler Infekt‘ und von dem Level an Tests, wie wir es jetzt (November 2020) kennen, sind wir zu dem Zeitpunkt ja auch noch weit entfernt. Nach ein paar Tagen ist der Spuk zum Glück vorbei.
Ich stürze mich in die Arbeit und erstelle Wochenpläne für meine Klassen, wobei ich mehrere Konzepte / Ziele habe:
- Jeder Plan enthält wenigstens eine Aufgabe (am Anfang fast ausschließlich solche), welche die Schüler per Mail oder Lernplattform bei mir abgeben müssen. Ziel ist es, dass sie auch jetzt regelmäßiges Feedback bekommen und das Gefühl haben, dass sie nicht nur für Ablage P arbeiten. Das ist eine Sache, die es z.B. an der Grundschule des Großen fast gar nicht gab und deren Fehlen mich sehr gestört hat. Ich finde, es gibt nichts Demotivierendes als Berge von Materialien zu bearbeiten in dem Wissen, dass niemand sie jemals anschauen wird. Daher trudeln im Laufe der Woche und vor allem zum Wochenende hin immer unzählige Mails und Nachrichten mit zu korrigierenden Texten und Übungsaufgaben bei mir ein.
- Aus eigener Erfahrung mit zwei Erwachsenen im Homeoffice weiß ich, dass die Schulaufgaben der Kinder nicht immer exakt zu Uhrzeit X erledigt werden können – der Computer ist besetzt, die Internetleitung gibt nicht genug Bandbreite für alle her oder es gibt gerade zu der Zeit andere Termine. Daher halte ich weitgehend ‚asynchrone‘ Arbeitsaufträge, die die SchülerInnen dann bearbeiten können, wenn es ihnen (oder ihrer Familie) passt, für sinnvoller.
- Ich versuche die Pläne so zu gestalten, dass sie ein Gleichgewicht zwischen Übungen und kreativeren Aufgaben halten, damit die Motivation nicht völlig flöten geht.
Da die allermeisten ihre Sachen recht zuverlässig erledigen (sicher oft mit ‚Motivationshilfe‘ durch die Eltern), scheinen meine Ideen nicht grundfalsch gewesen zu sein.
Ab der zweiten Woche versuche ich dann auch, wieder ’synchron‘ per Sprach- oder Videochat Kontakt mit meinen Klassen aufzunehmen, um mal zu hören, wie es ihnen geht und um unkompliziert Nachfragen und Hilfen zu ermöglichen. Das wird im Laufe der Zeit immer regelmäßiger, wobei es häufig zu (mir nicht immer erklärbaren) technischen Problemen kommt.
Insgesamt verschwimmt die Zeit in diesen Tagen zu einer völlig undefinierbaren Masse: Wir bewegen uns daheim im Wechselspiel zwischen Kleinkind bespaßen, Haushalt erledigen, dem Großen bei seinen Aufgaben unterstützen und den eigenen Job am Schreibtisch machen, wobei die ersten Punkte immer von demjenigen erledigt werden, der gerade keinen Termin oder keine Videokonferenz hat. Abends sitzen wir dann in der Regel beide am Schreibtisch und am Wochenende habe ich etwas länger am Stück Zeit, um die Pläne für die kommende Woche zu erstellen und die Korrekturberge abzutragen. Mein Rücken dankt es mir irgendwann mit zunehmendem Protest.
So zieht der März ins Land und ehe man sich versehen hat ist es auch schon April…