Muße
Muße – was ist das eigentlich? Zeit für schöne Dinge. Zeit für Kreativität. Zeit, Dinge zu tun, die mit dem Alltag oder dem Beruf nichts zu tun haben. Oder vielleicht doch? Wäre es auch Muße, z. B. den Unterricht so entspannt vorzubereiten, dass Zeit und Energie für kreative, neue Ideen ist? Eigentlich schon.
Im Alltag fehlt mir Muße bzw. die Zeit dafür. Wenn man von der Arbeit nach Hause hetzt, um sich dann dort in Hausarbeit zu stürzen und dann am Nachmittag mit dem Freizeitprogramm der Kinder beschäftigt ist, um nach dem Abendessen am Schreibtisch weiter zu arbeiten, bleibt kein Raum für andere Gedanken. Kein Raum, den Geist treiben zu lassen und auf Ideen zu kommen, die nichts mit der Arbeit oder dem Haushalt zu tun haben. Das liegt vermutlich in der Natur der Sache (auch wenn ich nicht ausschließen möchte, dass es Menschen gibt, die vom Alltags-Stress inspiriert werden und gerade dann tolle Ideen haben, an deren Umsetzung sie dann womöglich aus Zeitmangel scheitern), jedenfalls bei mir, und es nervt mich.
Denn ich finde, kreative Tätigkeiten – sei es das Schreiben eines Textes, das Aufnehmen eines Fotos (Motiv und Blickwinkel finden, die Kamera richtig einstellen, die Bildidee ggf. mehrfach abwandeln, alles am Ende nachbearbeiten), oder was auch immer das jeweils bevorzugte Medium oder die passende Tätigkeit sein mag – brauchen Zeit. Sie brauchen Zeit. Sie brauchen Zeit, um ihnen überhaupt nachgehen zu können (auf dem Weg vom Bahnhof nach Hause gibt es nur wenige Gelegenheiten, ein Bild aufzunehmen und im Supermarkt noch weniger). Sie brauchen aber auch Zeit, weil Kreativität eben nicht geplant zwischen 13:55 Uhr und 14:20 Uhr stattfinden kann. Man muss schon ein wenig, man verzeihe mir den klischeehaften Ausdruck, die Seele baumeln lassen. Im Urlaub geht das. Es geht an freien Tagen, wenn eben sonst kein Pflichtprogramm ansteht. Es geht manchmal, aber wirklich nur manchmal, im Alltag, wenn unerwartete Lücken entstehen, die groß genug sind, dass man geistig ein wenig in ihnen verschwinden kann (und nicht nur 8 Minuten Wartezeit auf den Zug überbrücken muss).
Wenn also Zeit zum Denken und Zeit zum Tun zusammenkommen, kann man kreativ sein. Kann ich kreativ sein. Kann ich Dingen nachgehen, die mich in irgendeiner Weise erfüllen, weil ich sie nur für mich tue und weil sie ein vorzeigbares Ergebnis haben, ganz egal, ob das jetzt irgendwo veröffentlicht oder vorgezeigt wird oder nicht.
Doch woher die Zeit nehmen? Das Bild von der „rush hour“ des Lebens ist nicht so verkehrt. Vollzeit-Job, zwei Kinder, ein Haus, der gesundheitlich notwendige Sport – es ist immer viel zu tun. Dennoch sollte es irgendwie gelingen, Dinge anzugehen, die man nur für sich selbst macht. Für den einen mag es das Anhören von Podcasts sein, für den anderen die Lieblingsserie auf Netflix, der Nächste entspannt beim Sport oder in einem Museum und ich brauche – bräuchte – Zeit, einfach nur für mich selbst dazusein und dann, wenn eine gewisse Ruhe eingekehrt ist, loszuziehen und Fotos zu machen. Oder später einen Text zu schreiben, wie diesen hier.
Denn das Ergebnis solcher Aktivitäten ist praktisch direkt spürbar. Sie geben mir Kraft, machen gute Laune, vermitteln ein Gefühl der Selbstwirksamkeit, so nennt man das in der Psychologie wohl. Ich (er-)schaffe etwas, ich lasse Ideen real werden, ich erfreue mich am Ergebnis. Bei Fotos mehr als bei Texten, da ist es oft eher die kathartische Wirkung des Schreibens. Die ich aber auch als sehr wohltuend empfinde.
Bleibt nur die Frage: Woher nimmt man die Zeit, den Dingen nachzugehen, die einem guttun? Denn meist sind die Tage ja gut gefüllt und oft genug schaffe ich gar nicht alles, was ich mir für eine Tag vornehme. Oder ich knapse Zeit vom Schlaf ab, um wenigstens noch 1 – 2 Kapitel am Abend zu lesen, weil ich sonst nicht dazu komme. Irgendwas also muss ich ändern. Irgendwo muss die Zeit gespart werden, um mehr kreative Tätigkeiten im Tag oder wenigstens in der Woche unterzubringen. Das ist aber vermutlich ein alter Hut und ein Vorsatz, den so schon viele gefasst haben. Aber das macht ihn natürlich weder falsch noch unerstrebenswert.
Ich bin ja auch manchmal gerne ein Besserwisser, aber irgendwie ist das ultimative Kompendium der Besserwisserei ja Bastian Sicks „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“, welches jedem der deutschen Sprache halbwegs mächtigen Menschen ermöglicht, bei jeder x-beliebigen Gelegenheit „Halt! Falsch!“ zu schreien und unter Verweis auf das genannte Werk auf irgendwelche Formulierungen hinzuweisen, die es ja gar nicht gebe.
Wer ist dieser Bastian Sick, dass er sich anmaßt, Muttersprachlern vorzugeben, wie sie _ihre_ Sprache zu benutzen haben? Solche sprachlichen Besserwisser sind genau so schlimm wie die KuMi-Konferenz, die sich einbildet, über die Köpfe von über hundert Millionen Sprechern hinweg entscheiden zu können, was richtiges, besseres oder einfacheres Deutsch sei.
Grundsätzlich kann jeder Muttersprachler sagen, was er will, und es kann per definitionem nicht falsch sein (denn wer, wenn nicht die Sprecher einer Sprache, legt fest, wie diese Sprache zu verwenden ist). Es mag ja sein, dass es eine ungebräuchliche Verwendung ist, aber es gleich als falsch zu bezeichnen und “geht nicht” zu schreien zeugt eigentlich von nichts anderem als der eigenen Kleinkariertheit und Engstirnigkeit. Im Übrigen verändert sich Sprache ständig, und was vor fünf Jahren “falsch” war ist heute vielleicht schon “richtig”. Ich sage nur die Formulierung “in 2007″ für Datumsangaben. Gibt’s im Deutschen eigentlich auch nicht, wird aber mittlerweile so oft verwendet, dass es in absehbarer Zeit wohl zur Standardsprache gehören wird.
Ein weiteres Beispiel ist die Formulierung „es macht Sinn (dieses und nicht jenes zu tun).“ Hier findet man dann gleich den Hinweis, dass es ja eigentlich „es ergibt Sinn“ an Stelle von „es macht Sinn“ heißen müsse.
Dabei ist es ja semantisch ein Unterschied, ob etwas “Sinn ergibt” oder “Sinn macht”. “Sinn ergeben” bedeutet ja soviel wie “logisch und verständlich sein” oder “ich habe das zu Grunde liegende Prinzip verstanden”. “Sinn machen” bedeutet hier jedoch, dass es “sinnvoll” im Sinne von “vernünftig” oder “eine kluge Entscheidung” ist, also etwas völlig anderes. Dass es sich grundsätzlich dabei um eine Lehnbildung vom englischen “it makes sense” handelt, welches wiederum die Übersetzung von “es ergibt Sinn” ist, ist mir bewusst, es stört hierbei aber nicht. Sprache ist immer nur ein Werkzeug zur Übermittlung von Informationen. Und ob man die Weißwurst nun zutzelt oder schneidet ist egal, Hauptsache man wird satt. Von daher kann der gute Bastian Sick mal schön nach Hause gehen.
In diesem Sinne, man lasse sich seine Gedanken nicht durch Sprachregulierung einschränken. Denn wie war das noch, der Geist endet an den Grenzen der Sprachen (oder so ähnlich) – und wenn man halt etwas mehr Geist hat, muss man eben auch die Sprache erweitern!
PS: Wie gut es doch ist, ein eigenes Blog zu haben, auf dem man seine Meinung nach Belieben kund tun kann, ohne dass einem jemand sagt, was man sagen kann oder darf und was nicht. So. 😛